08.04.2014
Dr. Richard Nemec M.A.
Stilepoche Gotik
Architektur: Akteure und Orte in der Zeit der Gotik
Die Stilepoche der Gotik wurde in verschiedenen Ländern sehr unterschiedlich beurteilt. J. W. von Goethe (1749-1832) kam während seiner Studienzeit in Strassburg mit dem dortigen Strassburger Münster in Berührung und verfasste 1773 die Schrift „Von Deutscher Baukunst“, wo er seine persönliche Vorstellung von Kunst darlegte, indem er das Strassburger Münster und dessen angeblich alleinigen Erbauer, Erwin von Steinbach (1244-1318), der französischen Architektur gegenüberstellte und das Strassburger Münster (und Erwin von Steinbach) als idealtypisch und als „wahre“ Kunst ansah. Der Begriff „Gotik“ wurde von Giorgio Vasari (1511-1574) geprägt, weil Vasari diesen vorwiegend im Norden angesiedelten Baustil in Gegensatz zur italienischen Kunst stellte, die sich auf das klassische Altertum stützte. Er bezeichnete deshalb diesen anderen Baustil als „gotisch“ (barbarisch, fremdartig). Die gotische Architektur hatte ihre Wurzeln in Frankreich. Abt Suger (1081-1151) gilt als treibende Kraft und die Kirche in Saint Denis bei Paris zeigte als erste die neuen gotischen Stilelemente. Typisch für die Gotik sind der Spitzbogen, das Kreuzrippengewölbe und ein äusserliches Strebewerk. Der gotische Baustil beeindruckt mit seiner himmelstrebenden Leichtigkeit und er versuchte die Wände mit grossen lichtbringenden Fenstern aufzulockern. Bunte Glasfenster ersetzten die bemalten Wände romanischer Kirchen und bringen das als göttlich empfundene Licht in den gotischen Innenraum. Die der Gotik vorausgehende Baukunst, die Romanik, ist in vielen Kathedralen aber noch sichtbar, weil im Mittelalter häufig über Jahrhunderte bis zur Vollendung der Bauwerke gebaut wurde und sich so Neues an Altes fügte. Der Baustil entwickelte sich im Laufe der Zeit und man unterscheidet eine Früh-, eine Hoch- und eine Spätgotik. Die damaligen ausführenden Werkmeister sind namentlich bekannt, sie reisten in ganz Europa umher und übernahmen Stilelemente bestehender Bauwerke für die von ihnen errichteten Kirchen und Kathedralen. So ist es nicht verwunderlich, dass sich Bauelemente, Fenster und Verzierungen an unterschiedlichen Orten (z.B. Berner und Ulmer Münster) sehr ähnlich sind. Teilweise waren auch die gleichen Werkmeister mit ihren Familien im damaligen Heiligen Römischen Reich an verschiedenen Baustellen tätig. Die Familie Parler machte sich in Schwäbisch-Gmünd (Heilig-Kreuz-Münster), in Nürnberg (St. Sebaldus) und in Prag (Veitsdom) einen Namen, die Familie Ensinger stellte mit Matthäus (1390-1463) und Ulrich (1350-1419) ebenfalls bekannte Baumeister, die in Strassburg, in Bern (Münster) und in Ulm (Münster) tätig waren. Der Referent kam anektotisch zum Schluss seines Vortrages auf den damaligen Schultheiss von Bern, Thüring von Ringoltingen (1415-1483) zu sprechen, der sich für den Münsterbau in Bern verdient machte, aber auch nach französischer Vorlage die Erzählung „Melusine“ schrieb.
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